Wir lassen Porto hinter uns und setzen uns für etwa eine halbe Stunde hinters Steuer unserer mobilen Einraumwohnung. Anschließend steigen wir in einer Stadt aus, von der Melli im Internet gelesen hat: Esmoriz. Auf der Fahrt höre ich Wörter wie “Surferparadies, “schöner Strand” und “Partyort”. Während Melli noch irgendetwas zu Esmoriz vorliest, stelle ich mir mit Ripcurl-Shorts bekleidete Surfer am Strand vor, die Abends rauchend und trinkend am Feuer sitzen, während die Musik über den Sand wabert und sich mit dem Klang des Meeresrauschens vermischt.
Surfen im Abwasser?
Als wir kurz darauf ankommen, werde ich aus meinem Tagestraum gerissen. “Wo sind die Surfer”, frage ich. “Vielleicht ist noch keine Saison”, sagt Melli. Ich schaue mich um. Sämtliche mehrstöckigen Häuser in Strandnähe scheinen unbewohnt zu sein. Am Strand gibt es weder Musik, noch Surfer mit braun gebrannten Gesichtern. Geschweige denn überhaupt Menschen auf der Straße. Zudem ziert ein langes, schwarzes, etwa 50 Zentimeter im Durchmesser großes Abwasserrohr den “schönen Strand”. Diese starre Kunststoffschlange erstreckt sich über viele hunderte Meter. Und mündet im Meer.
Nach einer kurzen Recherche im Internet stellt sich heraus, dass die Portugiesen im Allgemeinen ein Problem mit Abwasser haben. Die EU verhängte wohl auch hier und da eine saftige Strafe aufgrund fehlender Kanalisationen. Ich schaue mir noch eine Weile das dicke Rohr an, das über eine Buhne gebeugt, auf der ein paar Fischer stehen und ihre Ruten ins Wasser halten, das Abwasser ins Meer speit. Der Bereich, in dem sich das schmutzige mit dem Meerwasser vermischt, ist relativ groß. Jede Welle fördert die Schmutzpartikel deutlich sichtbar ans Tageslicht. Während sie sich ins Meer zurückzieht, nimmt sie den Dreck zu einem Teil mit. Ein anderer Teil bleibt an den Steinen der Buhne haften oder versickert im Sand. Kein Wunder, dass keiner in dem Abwasser surft.
Wo sind all die Menschen?
Wir schauen uns den Rest von Esmoriz an. Unzählige leerstehende, fünf- oder sechsstöckige Wohngebäude und verfallenen Häuser lassen auf eine Zombie-Apokalypse schließen. Sollten wir hier wirklich über Nacht bleiben? Beim Spaziergang über die evakuierten Straßen fallen uns ein, zwei Restaurants auf, die sogar geöffnet sind. Wir finden zu unserem Erstaunen auch eine Bäckerei, in der wir etwas Brot und ein paar Teilchen erstehen. Außer einigen Menschen, die ebenfalls Backgut kaufen, sehen wir aber sonst kaum jemanden. “Vielleicht sind alle in die Stadt gezogen”, sagt Melli. “Du meinst, Esmoriz ist leer, weil alle nach Porto ausgewandert sind?”, frage ich. “Porto ist doch nur ne halbe Stunde Autofahrt entfernt.”
Wir sprechen darüber, dass wir irgendwann in unserem Leben noch einmal herkommen. Im Sommer vielleicht. Dann nämlich ist mit Sicherheit der gesamte Strand mit Surfbrettern gepflastert. Eventuell fällt das dicke Abwasserrohr dann auch nicht mehr sofort auf. Ob es uns aber wirklich noch einmal hierher verschlagen wird?
Am Tag darauf verlassen wir die verlassene Stadt. Die Nacht war ruhig. So ruhig wie der Abend zuvor. Keine Menschen, keine Zombies. Auf dem Weg nach Aveiro schauen wir uns Esmoriz’ schönstes Bauwerk an: die Kirche Igreja Matriz de Santa Marinha de Cortegaça
Ein Gedanke zu „Esmoriz: Zombie-Apokalypse und Surfer im Abwasser“